Freie Universität Berlin,
Fachbereich Mathematik und Informatik
Institut für Informatik,
AG Informatik in Bildung und Gesellschaft
Lehrveranstaltung:
Internet-Learning
Ablauf
Zur Konstruktion von Internet-Software, mit der sich gut lernen lässt, brauchen wir Wissen über das Aneignen von Wissen: das Lehrern und Lernen. Nach einem Überblick über die Didaktik wollen wir Lernformen motivieren, die abseits des Schultypischen liegen, sich aber unseres Erachtens insbesondere für Internet-Unterricht eignen.
Zum Begriff Lernkultur: [Arnold: "Wandel der Lernkulturen", S. 4]
Gerne wird auch das Schlagwort "Neues Lernen" benutzt, um eine Lernkultur zu bezeichnen, die abseits von der schulischen liegt. Durch sie soll nachhaltiger und für das heutige Leben Sinnvolleres gelernt werden.
Für unseren Kurs wollen wir selbst entwickeln, auf welche Weise man mit Internet-Software gut lernen kann. Wenn es um Internet-Learning geht, kann man sich der geeigneten Lernform von zwei Seiten nähern:
Wir starten mit einem Experiment und erforschen damit unser Erinnerungsvermögen.
Frage: Was ist von unserem Auswärtstermin hängengeblieben?
explizite Inhalte (Stoff) | implizite Inhalte (Lernkultur) |
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Antworten der Teilnehmer: | |
Schütteldinger, Quietsche-Ente, Titel: DISCOURSE, Distributed Computerlab Berlin-Brandenburger Unis, Fortschritt, 35 Mio LOC in Windows XP | Powerpoint, der Züricher, Mattern + Schreibweise, Microsoft-Mensch Schulz, uninteressanter Vortrag, Frust über Abwesenheit, Festvortrag, Essen |
"Nicht Lehre im Sinne von 'Geben' von neuem Wissen, sondern die Verschränkung von Altem und Neuem erweist sich als didaktische Quintessenz der aus dem Konstruktivismus kommenden Anregungen zur Konzipierung des Lernens als konstruktiv und Aneignung." [Arnold, S. 81]
Das Regelungsmodell unterstellt, dass ein Steuerer (Lehrer) eine Steuergröße (Schüler) "stellt" (belehrt) und "misst" (Lernerfolg kontrolliert). Im klassischen Unterricht sitzen nun viele Schüler, die sich geistig (und womöglich auch körperlich) in unterschiedlichen Kontexten befinden. Außerdem besitzten sie individuelles Vorwissen und unterschiedliche Neigungen und Interessen.
Der Lehrer versucht nun, die Schülerkontexte mit sich selbst zu synchronisieren. Dies geschieht meist durch eine allgemeine Motivation für das Thema. Ob er damit alle Schüler interessiert und ob die Schüler nun einen wirklichen Nutzen in der Unterrichtsmaterie sehen, ist ungewiss.
Bei der Vermittlung von Unterrichtsstoff prüft der Lehrer im Unterrichtsgespräch abwechseln den unmitelbaren Lernerfolg der Schüler ab (Messung). Das folgende Unterrichtsgeschehen richtet sich somit nach den Äußerungen eines einzelnen, jedoch wird die ganze Klasse erneut "gestellt", was für den einzelnen Langeweile oder Überforderung, im eigenen Kontext brauchbares Wissen oder für den Moment unwichtiges "Lernen für das Leben" bedeutet.
Um den Lernerfolg zu garantieren, greift der Lehrer gerne auf "Belohnung" durch gute Noten zurück (bzw. natürlich auch auf "Bestrafung" durch schlechte Noten). Hauptmotivation ist also, das Lernkorsett Schullaufbahn möglichst schadenfrei zu überstehen ("defensives Lernen") und nicht das Lernen an sich ("expansives Lernen"). [Arnold, S. 21ff]
Betrachtet man nun die Linien des neuen Regelkreismodells, so fällt auf, dass sich der Lehrer im Zentrum des Geschehens befindet. Dass der Lehrer in seiner aktiven Rolle im Unterricht nun am meisten lernt, ist nicht weiter verwunderlich.
Um dem Schüler also den größten Lernerfolg zukommen zu lassen, muss er in das Zentrum des Geschens rücken: schülerzentrierter Unterricht baut also auf den Kontext des individuellen Schülers auf und lässt ihn die aktive Rolle für optimalen Lernerfolg einnehmen. Somit ist dies mit dem klassischen Frontalunterricht nicht zu realisieren.
Die These, dass das Medium das gesellschaftliche Leben der Menschen weit stärker beeinflusst, als die darüber transportierten Inhalte, wird über die Behandlung verschiedener Medien in der Geschichte der Menschheit nahegelegt.
Nach Auswahl der Medien Dorf, Straße, Schrift, Buchdruck, Radio und Fernsehen werden diese anhand einer Tabelle daraufhin untersucht, wie sie sich auf diverse Kategorien (Ausweitung, Transport, Modulation, Arbeit und Wirtschaft, Bildung, Politisches System, Kultur und Religion) ausgewirkt haben.
Folie der Tabelle "Das Medium ist die Botschaft - Geschichte der Medien in Anlehnung an McLuhan" [Postscript]
Der große prägende Einfluss von Medien auf das Zusammenleben der Menschen ist somit ausreichend nahegelegt.
Wir richten den Blick auf die Bildung und untersuchen näher, welchen Einfluss Medien auf das Lernen haben.
In der von McLuhan geschilderten Dorfstruktur, wie sie früher vorherrschte und heute noch von Stammeskulturen gelebt wird, wird Wissen auf akustischem Wege oder durch unmittelbare Handlung überliefert. Kinder sind nur wenigen Gefahren ausgesetzt und haben einen großen Spiel-Raum zum selbstständigen Lernen. Lehren geschieht überwiegend in Kleinstgruppen auf Anfrage des Lernenden.
Insbesondere einen Trend hält McLuhan für wesentlich: Die Beschleunigung, die mit der Einführung neuer Medien einhergeht.
Mit den ersten Medien konnte eine räumliche oder zeitliche Ausdehnung erreicht werden. Nicht mehr alles musste vor Ort im Dorf gemacht werden. Diese zunehmende Ausdehnung bezeichnet McLuhan kurz als "Explosion".
Durch das verbesserte Transportwesen können Kinder eingeteilt in Alters-Klassen gemeinsam lernen, was von wenigen gelehrt wird. Sie können aufbauende Spezial-Schulen besuchen, um ihrer Leistungs-Klasse und Berufs-Gruppe entsprechendes Spezialwissen vermittelt zu bekommen.
Bei zunehmender Beschleunigung der Medien, insbesondere durch elektrische Medien, sind plötzlich alle Orte unmittelbar "in Echtzeit" erreichbar. Somit kehrt sich der Trend der Explosion um, und wir leben jetzt im Zeitalter der Implosion. Ist dieser Weg abgeschlossen, so leben die Mensch wieder in einer Dorfstrukur, dem "globalen Dorf".
Durch elektrische Medien wird also das Leben und Lernen wie einst in der Dorfstrukur gefördert. Mit dem Internet könnte man sich individuell relevantes (und daher interessantes!) Wissen selbst aneignen, denn alle Internet-"Fäden" laufen im Internet-PC zusammen.
Die größte Bedeutung des Buches "Die magischen Kanäle" liegt im ersten ("Das Medium ist die Botschaft") und im letzten Abschnitt, den ich hier kurz einreißen möchte: "Automation - Nicht fürs Leben lernen, sondern leben lernen"
In einer Überschrift einer Zeitung hieß es kürzlich:
"Das kleine rote Schulhaus muss gehen, wenn die neue Straße kommt."
Einklassige Schulen, in welchen alle Jahrgänge gleichzeitig in allen Disziplinen unterrichtet werden, verschwinden einfach, wenn ein verbessertes Transportwesen Spezialräume und Fachunterricht möglich macht. Bei äußersten Beschleunigung der Bewegung jedoch verschwindet die Spezialisierung der Räume und der Gegenstände wieder. Mit der Automation werden nicht nur Berufe verschwinden und ganzheitliche Rollen wieder aufkommen. Eine jahrhundertelange Spezialisierung in der Pädagogik und der Anordnung von Daten geht nun durch die augenblickliche Verfügbarkeit von Informationen zu Ende, welche die Elektrizität möglich gemacht hat. Automation ist Information, und sie macht nun nicht nur den Spezialaufgaben im Bereich der Arbeit ein Ende, sondern auch der Auffächerung im Bereich des Lernens und Wissens. In Zukunft besteht Arbeit nicht mehr darin, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern darin, im Zeitalter der Automation leben zu lernen. Das ist ein ganz allgemeines Verhaltensmuster im Zeitalter der Elektrizität. Es beendete die alte Dichotomie von Kultur und Technik, von Kunst und Handel und von Arbeit und Freizeit. Während im mechanischen Zeitalter der Fragmentierung Freizeit die Abwesenheit von Arbeit bedeutete oder bloßes Müßigsein, gilt im Zeitalter der Elektrizität gerade das Gegenteil. Wenn das Zeitalter der Information von uns den Einsatz aller Fähigkeiten gleichzeitig verlangt, entdecken wir, dass wir am stärksten das Gefühl empfinden, frei zu sein, wenn wir am intensivsten "dabei", also mit einbezogen sind, ähnlich wie es Künstler zu allen Zeiten waren.
(Herbert Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle - Understanding Media)
Mit der Verfügbarkeit aller Information sind uns heute nicht nur endlose Informationsquellen, sondern auch eine vielzahl von Lebensmodellen geboten. Der Lebensweg ist nicht mehr vorgezeichnet, sondern obliegt in unseren "offenen" Gesellschaften dem Geschick des einzelnen. Selbst die Werte, die er seinen Lebenszielen zugrundelegt, ob es das Streben nach Geld, Macht, Anerkennung oder Spaß ist, ist offen und muss von jedem einzelnen für das eigene zufriedene Leben definiert werden [Ernst: "Psychotrends"].
Sowohl Pädagogen, als auch die Medientheoretiker legen im Zeitalter des Internets schülerorientierten Unterricht nahe.
Das "lebenslange Lernen" ist nicht nur eine wirtschaftliche Anforderung für unser Arbeitsleben, sondern für das Leben überhaupt. Mit der schnellen Anhäufung des Menschheitswissens (Verdoppelung ca. alle 5 Jahre) und dem Veralten von vormals gelerntem, erscheint es wenig sinnvoll, mit den vorhandenen Lernstrukturen lediglich "mehr" zu lernen (wenn dies überhaupt möglich ist). Ziel muss es vielmehr sein, ein Methodenwissen zu lehren, das insbesondere die Fähigkeit zum selbstständigen Lernen mit einschließt. Wissenvermittlung ist daher nur in dem Umfang erforderlich, um eine Wissenbasis zu schaffen, mit derer Hilfe neue Informationen bewertet und im Sinne der konstruktivistischen Lerntheorie mit vorhandenem Wissen verknüpft werden können, um sie zu lernen.
Frontalunterricht | (inter-)aktives Lernen |
---|---|
defensives Lernen | expansives Lernen |
Instruktionen | konstruktives Lernen/Entdecken |
lehrerzentriert | schülerzentriert |
inhaltsbezogen | lerntechnikbezogen |
schulisches Lernen | lebenslanges Lernen |
linear, sequenziell | Hypermedia-Lernen |
alle über einen Kamm geschoren | individuell |
Lehrer als Vermittler | Lehrer als Förderer |
nachvollziehend, epigon | gestaltend, (lebens-) künstlerisch |
Fremdbestimmung | Selbstbestimmung |
Lernmotivation Leistungsbewertung | Lernmotivation Wissensdrang |
Welche Eigenschaften sollte gute Distance-Learning-Software mitbringen?
Wie kann Distance-Learning-Software im schulischen Unterricht eingesetzt werden?
Wenn die im Rahmen der Seminarvorträge vorgestellten Softwaresysteme die Grundlage für unsere Entwicklung bilden: Welche Kriterien muss das System dann erfüllen?
Autor | Titel | Veröffentlichung | Quelle |
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Rolf Arnold, Ingeborg Schüßler | Wandel der Lernkulturen: Ideen und Bausteine für ein lebendigeres Lernen | 1998 | Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt |
Heiko Ernst | Psycho Trends: Das Ich im 21. Jahrhundert | 1997 | Piper, München |
Marshall McLuhan | Die magischen Kanäle: Understanding Media | 1964, 1992 | Econ, Düsseldorf |
Don Tapscott | Net Kids: Die digitale Generation erobert Wirtschaft und Gesellschaft | 1998 | Gabler, Wiesbaden |