Die Tochter einer Blumenverkäuferin aus San Remo hatte sich auf Empfehlung eines mit der Familie befreundeten Cembalisten am Conservatorio Nicolò Paganini in Genua um Aufnahme in die Gesangsklasse beworben und war zu ihrer eigenen Überraschung aufgenommen worden. Nach zwei Studienjahren verließ sie den Golf und die berühmte Paganini-Schule von Genua, um ihre Ausbildung an der Royal Academy of Music in London mit einem königlichen Diplom abzuschließen.

Ihre ersten Engagements führten sie an die städtischen Bühnen von Trier, Gießen und Freiburg im Breisgau, schon bald aber gastierte sie an den Opernhäusern von Parma, Rom, Paris, Brüssel, Wien, Mailand und San Francisco. Ihr Debut an der New Yorker Metropolitan Opera als Desdemona in Verdis Othello wurde zu einem unglaublichen Triumph, und nur zwei Wochen darauf fand sich ihr Bild auf der Titelseite von Vanity fair; die Sängerin in einer äußerst gewagten Pose inmitten eines roten Mohnfeldes.

„Er habe eine Liebesaffaire mit ihrer Stimme“ gestand der Dirigent R. nach einer Aufführung von Così fan tutte in Glyndebourne, in der sie die Fiordiligi gesungen hatte. Mozart und Tschaikowsky, Verdi und Puccini, alle lyrisch-empfindsamen Seelen der Opernliteratur bis hin zur Marschallin in Richard Strauss' Rosenkavalier hatte sie verkörpert und des Lobens war kein Ende.

Ihre Stimme, ein dunkel getönter Sopran, war in der Tat von strahlender Schönheit, er überzeugte nicht nur durch seine Kraft sondern auch durch eine berückend schöne, leuchtende Höhe. Das große Volumen der Stimme war dem präzisen Gesang durchaus nicht hinderlich, und ihre stupende Kunst, das Vibrato zu zügeln ließ selbst Händel-Puristen ins Schwärmen geraten.

Erschien älteren Freunden des Operngesangs ihre Stimme manchmal zu sanft oder zu wenig dramatisch, so erwählte das jüngere Publikum sie als Ikone eines neuen Sänger-Typs.

Dem Opernglück der gefeierten Diva aus San Remo war auch ein privates beschieden. Mit ihrem Mann, einem jungen ungarischen Dirigenten aus Pécs, bewohnte sie in Paris ein luxuriöses Loft in der rue de Charonne, wo ihr, ich habe es gesehen, tout Paris zu Füßen lag.

Als sie jedoch eines Tages auf der Schleife einer belgischen Schokolade, die ihr Mann zum Geburtstag erhalten hatte, die zärtliche Notiz einer ihr bisher unbekannten Anne-Catherine lesen und sie in der Folge entdecken musste, dass der tüchtige Maestro auch Vater von vier Kindern war, die ihm vier Sängerinnen in verschiedenen Opernmetropolen Europas geboren hatten, packte sie die Koffer und beendete ihre Karriere.

In Kirchdorf an der Krems, Oberösterreich, heiratete sie einige Jahre später einen langhaarigen Deutschlehrer, einen ausgefuchsten Opernfanatiker, mit dem sie seit Studienzeiten Briefe wechselte. In einem kleinen Glashaus züchtet sie nun im Kremstal kostbare Orchideen der Riviera und schreibt unter dem Pseudonym Rosetta Valentina Liebes- bzw. Kriminalromane. Diesen Romanen liegt jeweils ein Opernlibretto zu Grunde, wobei sie die Beziehungen der Figuren auf raffinierte Weise verändert und vertauscht. Aus Mimi wurde eine kaltschnäuzige Emanze, die ihre drei Männer überlebt, Wozzeck entpuppte sich als Serienkiller und die Figaro-Gräfin verwandelte sich in einen leidenschaftlicher Rache-Engel mit Jagdgewehr. Den größten Erfolg hatte sie vor zwei Jahren mit ihrem Kriminalroman Vergiftete Veilchen, in dem man unschwer die Geschichte von Francesco Cileas Oper Adriana Lecouvreur entdecken konnte. Diesmal durfte allerdings Maurizio an den Blumen schnuppern...

Ende März dieses Jahres stand die legendäre Primadonna aus San Remo zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder auf einer Bühne. Im Linzer Bruckner-Haus brachte sie den Joan-Baez-Abend Where have all the flowers gone zu Gehör, dem die 74 gezählten Zuhörer enthusiastisch applaudierten und damit zwei Zugaben erwirken konnten.